Mittwoch, 30. Januar 2013

Die zweite Lesung

Die zweite Wanderlesung war eine Art Doublefeature und fand am Wochenende 26/27. Januar im Atelier der Kölner Künstlerin Dorothea Bohde statt. (http://mobilesartcafe.wordpress.com).

Da sich mehr Leute für die Lesung angemeldet hatten als wir ohne Not in das Atelier einigermaßen bequem hätten setzen können, haben wir die Lesung nicht nur am Samstag, sondern - mit dem gleichen Abschnitt aus dem MoE - auch am Sonntag gemacht.


In der zweiten Lesung habe ich Kapitel 7 bis 12 zu Gehör gebracht. Ich freue mich im Moment sehr darüber, dass in den Lesungen auch Leute auftauchen, die mich vorher nicht kannten, aber so wie ich,  eine lebenslange Beziehung zu Musil unterhalten. Es gibt sie, die Musilleser!


Musil für unsere Zeit? und in der Zeitung.

Am Wochenende 26. und 27. Januar hat es in der Süddeutschen Zeitung drei direkte bzw. indirekte Anspielungen auf Musil gegeben.

Den indirekten fand ich am Freitag (25.1.) in der Rezension einer Autobiographie des indischen Psychoanalytikers Sudhir Kakar, die ziemlich verrissen wird.
Darin heißt es: "Karl Kraus (Zeitgenosse von Musil und 6 Jahre älter) hat sich vor modernen Menschen "ohne Gefühle und Vorurteile" gefürchtet; aber das ist schon lange her; heutzutage muss man sich vor Menschen voller Gefühle und Vorurteile fürchten."
Es gab bei Musil die Überlegung, seinen Roman "Der Mann ohne Gefühle" zu nennen. Sollte der Typus Ulrich sich für unsere Zeit erledigt haben?

Dagegen spricht der zweite Hinweis auf Musil, der sich auf der anderen Seite desselben Feuilletons findet. Dort geht es um die deutsche Popband Tocotronic, die ihr 20jähriges Bandjubiläum feiert und ein neues Album herausgibt. In einem der Songs dieses Albums heißt es:
"Jeden Tag muss ich auf´s neue Grundsätze verpachten/Bitte füll mich auf/ Ich habe keine Eigenschaften." Ulrich 2013 als Texter einer Popband?!

Schließlich geht Thomas Steinfeld in der Wochenendausgabe der Süddeutschen in seinem Artikel "Das Wollen wollen" direkt und relativ ausführlich auf Musil ein. Ich habe den Artikel so verstanden, dass Steinfeld Musil zu einem Wegbereiter der Kultur (?) der Selbstoptimierung macht, die er in dem Artikel zu Recht aufs Korn nimmt. Da überkam mich der äußerst selten gefühlte Drang, einen Leserbrief zu schreiben:


Sehr geehrter Herr Steinfeld,

in Ihrem Artikel „Das Wollen wollen“ vom vergangenen Wochenende, dessen Grundtenor ich nur unterstützen kann, versuchen Sie verblüffenderweise, Robert Musil zu einer Art Großvater des Selbstoptimierungsindustrie zu stilisieren. Dagegen möchte ich den Autor des „Mann ohne Eigenschaften“ mit Nachdruck in Schutz nehmen.
Schon in der „Einleitung“ des Romans macht Musil meines Erachtens überdeutlich, dass es ihm nicht um diese Art der Optimierung gehen kann. Er erzählt von den drei gescheiterten Versuchen, ein „bedeutender Mensch“ zu werden, also ein Ziel zu verfolgen, das die Selbstoptimierer auch anstreben. Nur weiß Ulrich nie, was ein bedeutender Mann sein soll und als er von einem „genialen Rennpferd“ in der Zeitung liest, wird ihm klar, wie albern sein Bestreben in seiner Zeit eigentlich ist. Er konkurriert mit Pferden!
Es liegt nahe, die Selbstopimierungsmanie, von der Sie sprechen als den Versuch zu verstehen, zum besseren Rennpferd zu werden. Die Optimierung hat ja immer zum Ziel, erfolgreicher zu werden, eine Idee, die Musil/Ulrich bestenfalls als kleingeistig abtun würde. Die Ziele kurz stecken, um sie auch erreichen zu können – das ist der Weg zum (kleinen) Glück in der „überamerikanisierten“ Stadt (siehe das Kapitel „Kakanien“!).
Und weiter: Welches „Selbst“ sollte denn bei Ulrich optimiert werden? Vielleicht der zehnte, der private Charakter, der zwar alle anderen in sich vereinigt, sie dabei aber auflöst, weil sie „eigentlich nichts (ist) als eine kleine, von diesen vielen (Charakter-) Rinnsalen ausgewaschene Mulde, in die sie hineinsickern und aus der sie wieder austreten, um mit anderen Bächlein eine andere Mulde zu füllen.“? (Kap. 9 Kakanien) Dieses leere „Selbst“ verhindert gerade, „das ernst zu nehmen, was seine anderen neun Charaktere tun und was mit ihnen geschieht“.
Ich könnte noch auf die Selbstoptimierungsstrategie des Sports eingehen, die Musil so wunderbar zerlegt, oder darauf, dass das „exakte Leben“ im direkten Widerspruch steht zu dem blindwütigen Streben nach Effektivität und Erfolg, ganz zu schweigen vom „anderen Zustand“, der weit weg führt von den Albernheiten des Besserwerdenwollens.
Es lohnt sich jedenfalls Musil zu lesen, wenn man dem „Wollen wollen“ nicht traut.


Herr Steinfeld hat darauf sehr freundlich geantwortet und will sich nicht so verstanden wissen, als sähe er Musil als prototypischen Selbstoptimierer, aber für Ulrich spiele die Selbstoptimierung eine große Rolle. 
Ist das so? Jedenfalls hätten wir hier guten Diskussionsstoff.

Montag, 28. Januar 2013

Was ist die Musil Wanderlesung?


„Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913“
Wanderlesung mit Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“


Wer kennt nicht den Wetterbericht am Anfang von Robert Musils Jahrhundertroman „Der Mann ohne Eigenschaften“? Im diesem Jahr ist dieser von Musil so ungewöhnlich beschriebene Augusttag genau 100 Jahre her.
Grund genug, sich noch einmal mit Musils enzyklopädischen Roman zu beschäftigen und zu fragen, ob Ulrich, der Mann ohne Eigenschaften, uns Spätmodernen vom Anfang des 21. Jahrhunderts noch etwas zu sagen hat.
Ich führe also – mit Unterstützung der Lengfeld´schen Buchhandlung - für 2013 eine Wanderlesung mit Robert Musils Roman durch. Dazu werde ich über das ganze Jahr verteilt an verschiedenen Orten in Köln und der näheren Umgebung aus dem „Mann ohne Eigenschaften“ lesen. Ich beginne am Anfang des Romans und werde bei jeder Lesung chronologisch im Text fortfahren.
Termine und Orte der Lesung findet man unter www.stimmfeld.de und dann auf Termine klicken!


Die Pilot-Lesung lief im Rahmen der Veranstaltung "Einmischen-Mitmischen-Aufmischen" am 13. Januar im Rautenstrauch-Joest Museum, bei der sich eine ganze Reihe von Kölner Literaturinstituten vorgestellt haben. Dieser Einstieg war insofern typisch und passend für die Auseinandersetzung mit Musil, weil es ein Timingproblem gab, durch das ich am Ende nur gut 10 Minuten für meine Lesung Zeit hatte und nur das erste Kapitel lesen konnte. Schlechtes Timing war ein Kennzeichen der Musilschen Schriftstellerkarriere. "Der Mann ohne Eigenschaften" erschien etwa nach Thomas Manns "Zauberberg", als die Leserschaft gerade gesättigt war mit großangelegten Zeitromanen.
Aber die Präsentation des Vorhabens ist wohl trotzdem gelungen und im ganzen war das ein guter Start in die Wanderlesung.


Die erste Lesung fand am Dienstag, 15. Januar um 19.30 Uhr in der Lengfeld´schen Buchhandlung am Kolpingplatz in Köln statt. www.lengfeldsche.de
Die Buchhandlung ist ja geradezu legendär für ihre großen Lesungen. Der ganze Proust wurde dort in sechseinhalb Jahren alle vierzehn Tage gelesen, und vor kurzem kam die Lesung der "Jahrestage" von Uwe Johnson zu ihrem Abschluss. Dadurch zieht die Lengfeld´sche einublikum an, das nicht nur sehr interessiert an Hochliteratur ist, sondern auch aus vielen sehr gut geschulten Zuhörern besteht. 
Die Lengfeld´sche Buchhandlung unterstützt mich sozusagen logistisch und ideell. Dort kann man die Termine erfragen und sich für Lesungen anmelden.