Sonntag, 23. Juni 2013

Lesung am 20.6. und philosophische Ausflüge

 Die Lesung am 20. Juni bei dem Kölner Literaturverein "rhein wörtlich e.V." in den Räumlichkeiten von Bettina Hesse hat einen wunderbaren Einblick in die Seele (und Wesen) von Paul Arnheim und in unser aller Seelen geboten, neben den Schilderungen der ersten Sitzung der Parallelaktion inklusive einem Ausritt mit den beiden Pferden von Graf Leinsdorf, Hans und Pepi.

Nach der Lesung wurde in der Runde unter anderem darüber gesprochen, ob es heute, also hundert Jahre später noch den Typus von Arnheim im öffentlichen globalen Leben gibt. Mich erinnert er an Nicolas Berggruen, dessen öffentliche Persona einige Merkmale aufweist, die auch Arnheim besitzt.


                                          Gastgeberin und Vorleser

Als gelernter Philosoph bin ich an den philosophischen Implikationen des Romans besonders interessiert und habe deshalb mit Spannung einen Artikel gelesen, in dem der Einfluss von Musils "Mann ohne Eigenschaften" auf den Philosophen und Phänomenologen Bernhard Waldenfels behandelt wird:
Wolfgang Müller-Funk: Kursorische Lektüren: B. Waldenfels. Im Reisegepäck: Musils Der Mann ohne Eigenschaften, in: ders.: Die Dichter der Philosophen, Fink Verlag, München 2013

Obwohl, wie in einem relativ kurzen Artikel nicht anders zu erwarten, Dichter und Philosoph zu kurz kommen, war die Lektüre für mich sehr interessant. Inwiefern der Autor dem Philosophen, also Waldenfels nicht gerecht wird, kann ich nicht wirklich beurteilen, aber es ist sehr spannend zu sehen, was mit Musil und dem MoE geschieht.
Es erscheint keineswegs unangebracht, den Roman, so wie Müller-Funk es macht, auf die spezifischen Fremdheitserfahrungen der Moderne hin zu bürsten, aber die Reduktion auf starke Thesen ruft in mir sofort das Gefühl hervor, dem Roman werde unrecht getan, weil er sich gerade nicht zu solchen philosophischen Thesen destillieren lässt. Das ist natürlich ziemlich banal, aber ich denke, man muss sich klar machen, dass nur dieses Vorgehen erlaubt, später zu den vier kulturellen Strategien zu gelangen, von denen am Ende des Artikels die Rede ist.

Mit diesen Strategien wird in der Moderne laut Waldenfels versucht, dem drohenden "Ordnungsschwund" zu begegnen. Diese Strategien hier genauer vorzustellen, führt zu weit, sie sollen aber helfen, das "eigene Fremde" zu bewältigen oder "besser: es symbolisch zu bearbeiten". (Fremdheit ist einer der zentralen Themen im Werk von Waldenfels.)

Diese Strategien passen in den philosophischen Diskurs, aber sie gehen, wie ich finde, an einigen zentralen Aspekten des Romans und Musils Denken achtlos vorbei. Musils Versuche, mit der Moderne und seinen Verwerfungen in und um den Menschen umzugehen, sind mit den vier Strategien nämlich längst nicht ausgeschöpft. Einmal ist das Schreiben des Romans selbst ein Versuch, die Zersplitterung der Welt (und die damit einhergehende Fremdheit in ihr) aufzufangen und umzuformen. Ein gescheiterter Versuch, aber was heißt das schon im literarischen Umfeld? Außerdem kommt Musil sehr oft an Stellen, wo es um diese Fremdheit geht, auf die Liebe zu sprechen. In Kapitel 40 z.B. schreibt er, nachdem er sozusagen das Wesen des Geistes in der Moderne seziert hat und erkannt hat, wie dieser Geist Ulrich daran hindert, wirklich ins Leben einzusteigen: "Und Ulrich wußte selbst nicht warum, aber er wurde mit einemmal traurig und dachte: “Ich liebe mich einfach selbst nicht“. In dem erfrorenen, versteinten Körper der Stadt fühlte er ganz zu innerst sein Herz schlagen."
Das sind Sätze, die man philosophisch nicht schreiben kann, die aber Zusammenhänge andeuten, die im Zentrum des ganzen Romans stehen. Ähnlich übrigens im Kapitel 45, wo er sich die Seele vornimmt und wieder die Liebe anbringt als einzige Situation, in der die Leere, die wir mit uns herumtragen, sich füllt.

Und davon abgesehen ist für den Roman die Idee des anderen Zustandes, eines inneren Zustandes, der die Abgetrenntheit und Fremdheit in einer Art Satori-Erlebnis aufhebt, entscheidend. Auch dem kann man sich nur sehr schwer philosophisch nähern, deshalb versucht Musil es auch literarisch, gipfelnd in dem Kapitel "Atemzüge eine Sommertages", in dem er den mehrmals angesetzten Versuch unternimmt, ein solches Erlebnis in Worte zu fassen. Wieder scheiternd, wieder gerade deshalb Weltliteratur schreibend.

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